27.1.14

Donner und Scoria

Diesen Ort muss man mal genauer beschreiben.
Freitag:
17.00 Uhr
Dienstschluss. war gar nicht schlecht die Woche. Aber jetzt schnell zur Wohnung, den bereits gepackten Rucksack gegriffen. Und dann ab zum Flughafen. Es ist ja alles genau geplant und vorbereitet: 3 Schichten Klamotten, 3 Kameras, Gamaschen, Wollhandschuhe, Mutz. Kein Proviant. Wird alles auf der Nordinsel besorgt. Dadurch keine Tasche einzuchecken. Ist billiger und vor allem schneller. Wenn was nervt nach der Ankunft per Flugzeug, dann das dumme Gewarte am Gepäckband.

19.55 Uhr
Ankunft in Wellington. Das prognostizierte Hoch über der Nordinsel sagt, Ich bin all hier. Kein Problem. Musst nur bis morgen abend hier verweilen, wenns geht. Mietwagen abholen, Vorräte für den Aufstieg besorgen. Dazu ein kleiner Stop in Porirua, 1/2h nördlich von Wellington. Der Mietwagen kostet praktisch nichts. Er soll nach Auckland überführt werden. Passt.
Sonnabend:

0.45 Uhr
Angenehme Anfahrt zur Taranaki-Region. Bin jetzt auf die finale Zufahrt eingebogen, die Egmont Road. Sie führt in den gleichnamigen Nationalpark, der in einem perfekten Kreis um den Berg herum angeordnet ist. Von oben sieht die Begrenzung aus wie mit dem Zirkel gezogen. Vermutlich weil sie mit dem Zirkel gezogen worden ist. Jetzt stehe ich hier, und vor mir, als dunkle Silhouette gegen den Sternhimmel, ein Ungeheuer von einem Berg. Seine Flanken zeigen in einer Symmetrie, Bestimmtheit und Steilheit nach oben, die sofort klar macht: Das ist was ganz Neues hier. Auf meinem Arm sind plötzlich viele kleine Kopien des Berges, da wo die Haare aus der Haut kommen.

Vergeblich zieht das Gehirn die Schubladen auf - diese Landschaftsform ist nirgends gespeichert. Ein Spitzkegel, der in der Ebene steht. Mithin der Prototyp eines Berges. Kein Gemache mit Gebirgsvorland, hintereinander liegenden Höhenzügen, Tälern mit in-gezüchteten Filzhutträgern, versteckten Kleinstaaten oder irgendwelchen Pässen. Hier geht es höhenmäßig direkt zur Sache, und zwar ohne Umwege und genau 1-mal. Bis auf über 2500m. Taranaki überragt seinen nächsten freistehenden Nachbarn, den Pouakai, um 1,1km. Damit ist klar wer hier der Chef ist. Der Fanthams Peak am Südhang ist noch zu klein, um dieses Bild zu stören. Die Aussicht kann kein Mist sein von da oben, denke ich und fahre die letzten Kilometer bis zum Parkplatz.

4.00 Uhr
Egmont Visitors Centre, 985m. Inzwischen ist der Halbmond aufgegangen, fahles Licht auf der Nordseite des Vulkans. Vor einer Stunde kam eine lärmende Studentengruppe angefahren und hat sich mit schepperndem Gelächter auf den Weg nach oben gemacht. Das war der Weckruf: Was ist besser, Aufstehen und hoch und schon weit oben sein wenn die Sonne aufgeht, oder schlaflos im Auto klemmen und auf Erholungseffekte warten, die nicht kommen. Alle Voraussetzungen sind geschaffen für den Aufstieg: Top Wetter, Equipment und Verpflegung vollständig, Beine fit, verbleibender Anreiseweg: 0,0km. Schönes Gefühl, völlig frei entscheiden zu können. Ich beschließe: Es geht los. Ich lasse mir Zeit mit dem Sachen packen. Der Rucksack enthält jetzt auch noch 2kg Mampf in Form von Riegeln und Obst, und 3 x 0,8l Wasser (mit Zitrone und gesüßt mit Stevia -> Pfui Deibel, merken fürs nächste Mal). An der Bergflanke, dort wo nichts mehr wächst, sind ein paar Lichter zu sehen. Dort kennt sich jemand aus.

Ich folge dem beschilderten Summit Track, der perfekt fürs MTB wäre. Ist aber verboten, wie an so viele Orten hier. Urwald links und rechts, dem Geruch nach 500-600m über dem Meeresspiegel. Laut Karte sinds schon 1000. Klar, das hier ist näher am Äquator als Dunedin. Das Mondlicht schält erstarrte Lavaströme aus der Dunkelheit, charakteristisch die senkrechten Stirnflächen. Diese liegen frei, nachdem der davorliegende Dreck wegerodiert worden ist. Die letzte Lava kam oben vor 150 Jahren raus, aber die hier unten ist deutlich älter. Lebhafter Wind, aber (noch) nicht zu kalt. 12°C war die Anzeige am Start. Anstieg mäßig steil.
Den Sternen entgegen. Links oberhalb des Gipfels die Magellanschen Wolken.
5.00 Uhr
Der eigentliche Aufstieg hat begonnen, bei ca. 1500m. "Open scoria" unter den Füßen. Lose Vulkan-schlacke, die die Anstregung verdoppelt. Die Tahurangi Lodge und die Holztreppen aus dem Hongi Valley heraus liegen schon hinter mir, genau wie die Baumgrenze. Links verschmilzt die Milchstraße mit dem ersten Sonnahmd-Dämmerlicht. Kaum zu fassen, das Wetter spielt tatsächlich mit. Das ist nicht selbstverständlich in diesem Sommer 2013/14, der keiner ist. Und dieser Berg ist auf 3 Seiten von Ozean umgeben. Wetterumschwünge, zusammengebraut über der ewig wütenden Tasman-See treffen auf diese Hänge ungebremst und mit tödlicher Gewalt. Diesem Berg begegne ich mit äußerstem Respekt. Zu viele sind seinem Ruf gefolgt und haben das mit dem Leben bezahlt. Hier braucht man kein leichtbekleideter Dummkopf sein, um ernsthafte Probleme zu kriegen. Es ist mir egal ob der Rucksack schwer ist weil vielleicht 2 Klamottenschichten und 50% Essen zu viel drin sind. Im Osten überragen Ruapehu und Tongariro/Ngauruhoe die Horizontlinie. Die 2 anderen hohen Vulkankomplexe der Nordinsel. Die Maori-Folklore weiß, dass Taranaki scharf auf die schicke Pihanga war, Gemahlin in spe des Tongariro. Er unterlag und ging nach Westen, ins selbst gewählte Exil, in den äußersten Zipfel der Insel. Tongariro hatte nichts dagegen. Hau ab du! Und hier ist Taranaki geronnen und wartet, ganz alleine. Aber noch in Sichtweite. Irgendwann wird er explodieren und ein Steingewitter entfesseln. Ich verstehe das. Ich wäre auch nicht einverstanden damit.

Blick Richtung Osten mit Ruapehu und Venus
6.00 Uhr
Das Umland und alles, was Schutz bieten könnte, ist nach unten weggesunken. Hinter und neben mir nur noch freie Höhenluft. Ein bisschen wie wenn einem die Bettdecke weggezogen wurde. Grandiose Farben im Osten, gleich geht die Sonne auf. Vor mir ein versprengter Student. Er hat, warum auch immer, die Gruppe verloren und macht gerade den gleichen Fehler wie ich. Wir verfehlen in unserem Elan die "Eidechse", den Lavastrom, auf dem der offizielle "Weg" in den Krater und von dort auf den Gipfel führt. Das hat was damit zu tun, dass der Hang unter unseren Füßen lebt. Was auf dem losen Scoria-Zeug installiert wird, z.B. Markierungspfähle, wandert langsam nach unten und sammelt sich dort in grotesken Arrangements. Es taugt dann nicht mehr zur Navigation. Statt auf dem Lizard kraxeln wir westlich davon am Krater vorbei. Und noch etwas geschieht jetzt im Westen: Taranaki wirft seinen immensen Schatten auf das Meer. Der Strand ist 30km entfernt, der Schatten reicht deutlich weiter. Geometrische Perfektion. Kamera raus. Der Studi ist schon weiter geklettert. Weiter oben sehe ich ihn wieder, er kommt mir entgegen (??). Hier gehts nicht weiter, zu steil. Mach keinen Scheiß hier Mann. Und überhaupt, kurze Hosen! Gut dass ich aus dem Alter raus bin. Na wenigstens haste keine Badelatschen (Jandals) an, wie sonst alle hier in dem Land. Wir gehen ein Stück seitwärts, dann wieder aufwärts. So ists schon besser.

Großer Berg, langer Schatten. Nicht immer ist es kompliziert.
Zur Erinnerung: wir haben Januar!
6.50 Uhr
Der Hang vor mir hört auf. 2.518 Meter. Der unendliche Blick hinter mir schließt sich zu einem 360°-Panorama. Davon fast 3/4 Meer. Die Perspektive ist aberwitzig. Sie hat alles vom Flug und nichts vom Boden. Es gibt, besonders bei freistehenden Bergen, einen Punkt, ab dem fühlt man sich völlig abgekoppelt vom Erdboden. Alles andere ist so unglaublich weit unten, dass man keinen Bezug mehr dazu hat. Heute gilt das sogar für die Wolken. Deren Obergrenze ist 1km unter mir. Es ist windstill, absolute Ruhe. Da ist es wieder das Film-Problem. Wo ist nur der Kippschalter, den man umlegen muss von "Film" auf "Realität, hiersein". Ich werde es versuchen. Ich bleibe den ganzen Tag hier, wenns sein muss.

Auch der Pouakai wirft Schatten. Aber keine so großen. Er hat nur knappes Riesengebirgs-Format. Er war mal so groß wie der Taranaki heute. Aber das ist lange her.
Südosten: Shark's Tooth, Kraterrand, South Taranaki
Westen: Cape Egmont
11.00 Uhr
Hinter dem Rand des Gipfelplateaus ungeheuerlicher Radau, minutenlang. Eine paar Damen lösen ein Problem, was unsereinem an einem solchen Ort, wo das baumfreie Terrain zwischen 45° und senkrecht wechselt, vermutlich deutlich leichter fällt. Ein paar Meter absteigen, Blick zum Horizont und... 

12.00 Uhr
Die Wolken werden dichter, der Wind stärker. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Auf einem normalen Berg würden die Wolken auf der Luv-Seite langsam hochgekrochen kommen, um irgendwann über den Gipfel zu fließen. Nicht hier. Wie gesagt, abgekoppelt vom Erdboden. Ruapehu und Ngauruhoe haben das Privileg ebenfalls und sind über 100km entfernt klar zu sehen. Es sieht näher aus.
Hinter dem Kraterrand Panitahi (Fanthams Peak), 1966m , Taranakis geologischer Nachfolger. Bildmitte: Symes Hut, karg aber exklusiv zum Übernachten
Die famose Besteigung des Haifischzahns. Am Horizont, v.l.: Tongariro, Ngauruhoe, Ruapehu

13.30 Uhr
Ich habe es geschafft. Ich konnte mich losreißen und den Abstieg beginnen. Das war gar nicht so einfach. Immer wenn man den Blick abwendet, z.B. um am Rucksack zu hantieren und wieder aufschaut, kann man es nicht fassen, dieses Panorama. Man fühlt sich wie eine Sonde am Wetterballon. Man setzt sich wieder hin und glotzt bis der Zwischenspeicher wieder voll ist und man weggucken kann. So einen Moment habe ich genutzt. Jetzt stehe ich im Krater. Ein schneegefülltes Tal, an 2 Seiten offen. Dort ist zuletzt die Lava ausgebrochen und den Hang runtergeflossen. Heute fließt dort nur Schnee raus. Verstreute Felsbrocken, die oben auf dem Firn liegen, bezeugen dass das kein sicherer Ort ist hier. Ringsherum klirrt, knackt und poltert es. Die Sonne lässt das Eis bröckeln, und das Eis nimmt Steine mit. Gegenüber dem Gipfel, am Rand des Kraters, ist ein Felsenzahn, "Shark´s Tooth". Sehr dünn, steil und ausgesetzt. Sieht einladend aus, einige Besucher lassen sich locken. Ich lass es sein. Ist bestimmt schön auf der Zacke, aber der Hai-Zahn ist schon ganz schön bröselig. Eine zähe Robbe lässt sich damit wahrscheinlich nicht mehr zerbeißen.

Blick aus dem Krater Richtung New Plymouth, dem neuseeländischen Neapel, wo es vermutlich nicht so sonnig ist. Die Kerbe in der Wand rechts enthält den Rückweg.
Die haben noch was vor...
Zu steil fürs MTB (zumindest hochzu)

14.30 Uhr
Baumgrenze wieder erreicht. Der offizielle Weg aus dem Krater war, nun ja, interessant. Ordentliche Tiefblicke. In puncto Sicherheit schien mir der unfreiwillige Aufstiegsweg besser. Der Geröllhang hat für Riesenspaß gesorgt, so müssen sich 7-Meilen-Stiefel anfühlen. 500m abgestiegen in ein paar Minuten.
Durchatmen .... und .... Losrennen.
15.00 Uhr
Parkplatz. Der Blick zurück: War ich da wirklich gerade oben? Ganz schön warm hier. Die Beine sagen: Es reicht. Ich setze die Sonnenbrille ab. Trotz massiven Sonnenschutzes hat die Haut durchaus was abgekriegt, nur der Bereich um die Augen nicht. Aus dem Rückspiegel guckt mich ein invertierter Panda an.


Irgendein Bergsteiger wurde mal gefragt, warum er soundso einen Berg besteigen wolle. Die Antwort war, "Weil er da ist". Ich bin kein Bergsteiger. Für mich ist das deshalb Quatsch. Es ist die Aussicht. Punktum.


1 Kommentar:

padde hat gesagt…

Sehr schöner Bericht der Herr!und Fotos schicken erübrigt sich damit auch.ich hätte mit dem höllenholm nicht so viel radfahren sollen,stattdessen mal lieber auf die berge kriechen!vielleicht holen wir das ja noch mal zusammen nach!